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    18/03/2022

    Medienartikel

    „Wo Krisen sind, sind auch Chancen“

    HANDELSBLATT ONLINE, 18.03.2022

    Die gesunkenen Mieten in innerstädtischen Wohn- und Geschäftshäusern machen die Flächen für eine breitere Nutzergruppe erschwinglich. Das ist eine gute Entwicklung, findet Philipp Kraneis, geschäftsführender Gesellschafter von Deutsche Wohn- und Geschäftshaus (DWG).

    Es gibt zwei Formen von Urbanität. Die eine wird in den Renderings und den Hochglanzprojekten der Quartiersentwickler dargestellt und zeigt, wie das städtische Zusammenleben der Zukunft funktionieren kann. Das liefert wichtige Impulse, gibt aber nicht die breite Realität wieder. Denn die zweite, deutlich häufigere Form von Urbanität zeigt sich in
    den Innenstädten von Soest, Krefeld oder auch in den weniger angesagten Stadtteilen der Metropolen.
    Dort konstituiert sich die städtische Öffentlichkeit nicht durch neu entwickelte Mischnutzungsprojekte, sondern vielmehr durch die Mieterbestände der Wohn- und Geschäftshäuser. Und dort erleben wir seit Jahren sinkende Mietpreisniveaus, Mieter, die kurz vor der Insolvenz stehen, und die Verdrängung von Familienbetrieben durch Ramschläden, Spielotheken und ähnliche Nutzergruppen. Keine Frage: Viele deutsche Innenstädte sind in der Krise.
    Doch wie so oft gilt auch hier: Wo eine Krise ist, ist auch eine Chance. Denn anders als bei den Vorzeigequartieren in den Toplagen sind die niedrigeren Mietpreise für eine breite Nutzergruppe erschwinglich, die zuvor eher an die Stadtränder gedrängt wurde. Dazu gehören wichtige Einrichtungen der öffentlichen Infrastruktur wie Bibliotheken und andere Bildungsstätten, aber auch soziale Einrichtungen und gemeinnützige Vereine, die vor Ort einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten.
    Genauso wichtig sind Ärztehäuser und großflächigere Nutzungen aus dem Gesundheitsbereich, in denen beispielsweise Patienten teilstationär behandelt werden müssen. Aber auch der alteingesessene, inhabergeführte Obst- oder Käseladen darf in seiner Bedeutung für eine gesunde Innenstadt nicht unterschätzt werden. Gerade angesichts der alternden Gesellschaft ist es umso wichtiger, dass solche Angebote auch im eingeschränkten Mobilitätsradius von Senioren erreichbar sind. Denn Innenstädte erfüllen seit jeher auch einen Auftrag der Daseinsvorsorge. Die Bank, die Apotheke, der Lebensmittelhändler und Gemeinschaftsflächen wie Gastronomie prägen nicht umsonst die klassische Vorstellung einer funktionierenden Innenstadt.
    Über Jahrhunderte hinweg, als es noch keine Stadtplanung im heutigen Sinne gab, ist Urbanität organisch gewachsen. Eine sinnvolle Nutzungsmischung kann sich also durchaus „von selbst“ ergeben, indem sich ein Mieter dort ansiedelt, wo er in der Nachbarschaft das größte Potenzial sieht.
    Die Rolle des Vermieters beziehungsweise des Revitalisierers sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Erstens kann er die Flächen an die Anforderungen einer modernen und hochwertigen, aber dennoch erschwinglichen Nutzung anpassen, damit überhaupt die passenden Mieter angezogen werden. Zweitens hat er die Möglichkeit, zuvor abgeschlossene Immobilien durch die passenden Nutzungen nach außen hin zu öffnen und somit eine Schnittstelle zur Stadtöffentlichkeit zu schaffen. Drittens schließlich kann er bei der Mieterauswahl wichtige Impulse in Sachen sozialer Nachhaltigkeit setzen und somit das organische Wachstum positiv beeinflussen.